Liebe Iris,
ganz herzlichen Dank zunächst, dass Du Dir die Zeit nimmst, meine Fragen zu beantworten.
Aus Deiner Vita geht nicht wahnsinnig viel hervor. Du hast eine Ausbildung zur Theaterdramaturgin gemacht, und danach fand man Dich hauptsächlich im handwerklichen Bereich wieder. Als Ausstellungstechnikern, und beim Messe- und Bühnenbau. Da ist doch sicherlich ein riesiger Unterschied in der Arbeitsweise. Was macht für Dich das Besondere am handwerklichen Arbeiten aus? Oder würdest Du gern wieder als Dramaturgin arbeiten?Ich mochte Handwerk schon immer und wurde auch sehr pragmatisch erzogen. Als ich bei meinen Eltern auszog, um auf die Theaterakademie zu gehen, lief mein Vater in seinen Keller, kam kurze Zeit später wieder hoch und drückte mir ein paar Schraubenzieher, eine Zange, einen Hammer und noch Kleinzeug wie Nägel und Schrauben mit dem Kommentar in die Hand: So Kind, jetzt musst du alleine für dich sorgen.
Ich war nie der Typ, dem es leicht fällt, sich an den Tisch zu setzten und zu lernen. Eigentlich seltsam, dass ich dann Dramaturgie studiert habe – ist ja erst einmal etwas sehr theoretisches und trockenes. Danach ging ich ans Theater, fühlte mich heimlich aber immer eher hinter die Bühne gezogen. Ich mochte die Werkstätten viel lieber als den dunklen Theatersaal oder das Büro. Irgendwann arbeitete ich im Archiv eines Museums, und plötzlich brauchte man jemanden, der beim Aufbau einer Ausstellung mithalf. Da war ich zur Stelle. Und ab da ging der Weg Richtung Messe- und Bühnenbau. Ab diesem Zeitpunkt begann ich nach einer sehr langen Pause auch wieder zu schreiben. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Ans Theater möchte ich nicht mehr zurück. Mir gefällt mein Leben so, wie es heute ist. Nun … vielleicht komme ich als Autorin eines Theaterstücks wieder mit dem Theater in Kontakt, aber das erarbeite ich ja nicht im Theater sondern an meinem Schreibtisch.
Durch Deinen Hauptjob bist Du ja nicht Vollzeit-Autorin. Würdest Du gern mehr schreiben und den Hauptjob irgendwann an den Nagel hängen, oder soll die Autorentätigkeit weiterhin nebenberuflich bleiben?
Auf keinen Fall würde ich meinen Job aufgeben. Inzwischen arbeite ich halbtags als Lageristin und nicht mehr als selbstständige Monteurin oder in der Kultur. Nach meinem unsteten Leben ohne Feiertage oder Wochenenden ist das nun ein Tagesablauf, der mir sehr viel Raum und Freiheit gibt. Und Sicherheit. Ich bekomme pünktlich meinen Lohn und bin versichert. Aber das Schöne an meinem Job ist, dass ich die ganze Zeit in Bewegung bin. Vier Stunden lang wuppe ich Kühlschränke, Spülmaschinen oder sonst irgendwelche Dinge und muss mir unheimlich viel merken und sortieren. Ich trainiere also Muskeln und Gedächtnis und bekomme sogar Geld dafür. Ich habe am Wochenende frei und muss auch nicht bis 23.00 Uhr (am Theater üblich) oder in der Nacht (beim Bühnenbau üblich) arbeiten. Ab 14.00 Uhr bin ich Autorin. Montags sogar ganztägig. Ich arbeite also mehr als Autorin denn als Lageristin. Das ist ein sehr schönes, ausgeglichenes Leben, das ich nur ungern ändern würde.
Gibt es einen zweiten Traumberuf, den Du gern gelernt / ausgeübt hättest? Und was hat Dich dazu bewogen, den aktuellen Weg einzuschlagen?
Ich wollte das Sandmännchen werden, wenn ich mal groß bin. Das erzählt die ganze Zeit Geschichten. Das habe ich schon als Kind gern gemacht. Und ich wollte Weltenbummlerin werden, aber meine Mutter erklärte mir, dass man auch mit irgendwas Geld verdienen muss. So landete ich bei der Schriftstellerei, denn schreiben kann man rein theoretisch von überall aus. Nun ja, es kann nur ein Sandmännchen geben, von daher wurde ich eben eine Schriftstellerin, die ihren Bewegungsdrang beim Herumtragen von Kühlschränken und Spülmaschinen auslebt. Nach einigen Umwegen lebe ich also meinen Traumberuf voll aus.
Du bezeichnest Deine Bücher als Gegenwartsliteratur. „Meerestiere“ hätte ich sogar als Fabel eingestuft, denn der im Fisch „versteckte“ Vater ist ja eher als Synonym zu verstehen. Woher nimmst Du Deine Ideen?
Früher schrieb ich sehr abstrakt, heute bin ich mit meiner Literatur nah am Leben und der Realität. Ich sammle einfach ständig Informationen. Das können Zeitungsartikel, Fernsehbeitrage, Beobachtungen auf der Straße, Begebenheiten in der Familie oder bei Freunden sein. Die Geschichten formieren sich in ihren Grundzügen meist von selbst in meinem Kopf – und belegen irgendwann zu viel Speicherplatz. Durch das Aufschreiben werde ich sie los. Deshalb sind meine Bücher auch nur knapp über 200 Seiten lang. Ich habe einfach zu viele Geschichten in meinem Kopf, da kann ich keine großen Wälzer schreiben. Die Geduld hätte ich auch nicht.
Neben der Gegenwartsliteratur hast Du jetzt unter dem offenen Pseudonym Iris Antonia Paul gemeinsam mit Oona Thim ein wundervolles Kinderbuch, „Sandkörnchens spannender Tag auf Norderney“ geschrieben. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Oona Thim hat eine kleine Tochter, die den Kinderbuchklassiker „Mein Esel Benjamin“ für sich entdeckte. Das Buch verkauft sich noch heute und die Kinder lieben es so, wie wir damals. Da Oona Fotografin ist, dachte sie sich, sie könnte eine Bildergeschichte fotografieren, mit der Tochter als Hauptcharakter. Die Kleine fand die Idee eines eigenen Bilderbuches toll, mochte aber nicht vor die Kamera. Daraufhin wollte Oona ein Stofftier als Protagonist nehmen, und so kam ich ins Spiel, denn Oona brauchte eine Geschichte. Oona, ihre Tochter und ihr Mann sind oft auf Norderney, deshalb spielt die Geschichte dort. Wir suchten einen kleinen Hasen aus, ließen ihn nähen, Oona gab mir ein paar Stichpunkte und ich dachte mir eine Geschichte aus. Das war vor ziemlich genau einem Jahr. Oona wanderte letztes und dieses Jahr über die Insel und fotografierte unser kleines Sandkörnchen. So entstand das Buch.
Gibt es noch ein Genre, was Dich besonders reizt, in dem Du gerne mal etwas schreiben würdest?
Nicht wirklich, denn ich bin mit dem Schreiben meiner Gegenwartsliteratur schon gut ausgelastet. Außerdem soll Sandkörnchen eine ganze Reihe werden. Es gibt Überlegungen, mit einer Illustratorin zusammen eine Graphic Novel zu erarbeiten. Meine Sprache ist sehr reduziert. In China sagt man: Große Kunst ist dann erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann. Ich würde gern versuchen, meine Sprache so weit zu reduzieren, dass sie nur im Zusammenspiel mit Bildern funktioniert. Ich bin ein sehr visueller Mensch und arbeite zurzeit auch mit mehreren Fotografen an gemeinsamen Projekten. Eine Vermischung aus Literatur und Bild.
Wie bereitest Du Dich auf ein neues Buchprojekt vor?
Gar nicht. Ich schreibe das eine Buch zu Ende und beginne mit dem nächsten. Die Vorarbeit besteht nur darin, die Ideen und Beobachtungen einfach irgendwo in meinem Gedächtnis zu speichern, wo sie dann vor sich hin wachsen. Da ist viel Ausschuss dabei. 70-80% meiner Ideen werden nicht schriftstellerisch erarbeitet. Ich versuche erst gar nicht, sie zu Papier zu bringen. Ich schreibe mir auch wenig Ideen auf. Wenn sie gut sind, bleiben sie im Kopf. Wenn nicht, waren sie nicht gut. Irgendwann fühlt es sich nach einer Geschichte an, und dann ist sie bereit, aufgeschrieben zu werden. Ich recherchiere nie im Vorfeld.
Woher nimmst Du die Inspiration für deine Bücher?
Die Ideen an sich kommen aus dem Alltag, die Inspiration aus anderen Künsten. Fotografie, Malerei, Film. Besonders wichtig ist Musik. Wenn ich ein Buch anfange, erstelle ich meist einen Soundtrack mit passender Musik. Es gibt viele Leser, die meinen, meine Bücher zu lesen sei, als würde man einen Film sehen. Das ist für mich ein sehr großes Kompliment.
Wie lange benötigst Du für ein Buch?
Das erste Buch ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die ich ohne den Gedanken einer Veröffentlichung schrieb. Zu der Zeit schrieb ich noch ein Drehbuch und ein Theaterstück. Für die zehn Geschichten benötigte ich ca. 3 Jahre. Das zweite Buch war die Geschichte, zu der ich vorher das Drehbuch verfasst hatte. Da es also eine Vorlage gab, dauerte es ca. ein halbes Jahr. Auch der dritte Roman dauerte ca. ein halbes Jahr. An meinem jetzigen Roman arbeite ich schon länger. Erstens, weil es dazwischen andere Projekte wie das Kinderbuch gab und zweitens, weil es für mich ein großer Sprung nach oben ist. Meine ersten Bücher schrieb ich zwar mit großer Ernsthaftigkeit, aber dieser Roman ist nun das, was ich qualitativ in der Literatur erreichen möchte.
Schreibst Du „aus dem Bauch heraus“, oder plottest Du vorher?
Früher habe ich einfach geschrieben, was mir gerade in den Kopf kam. Bei Kurzgeschichten braucht es keinen vorher durchdachten dramaturgischen Bogen. Alles ist auf wenige Seiten komprimiert. Heute ist es unterschiedlich. „221 Tage“ wurde komplett geplottet, das Drehbuch schrieb ich dann in wenigen Tagen. Bei Meerestiere gab es einen groben Handlungsstrang. Für meinen jetzigen Roman habe ich mir die Handlung vorher genau ausgedacht, nur wird der Roman doch ein wenig anders. Aber das stört mich nicht. Eine Geschichte fließt dahin, wo es richtig ist. Ich vertraue diesbezüglich meinem Gefühl und meiner Ausbildung als Dramaturgin.
Du hast bisher als Selfpublisherin veröffentlicht. Möchtest Du in dem Bereich bleiben, oder würdest Du lieber als Verlagsautorin schreiben und wieso ist Deine Wahl so?
Die Kurzgeschichten veröffentlichte ich als Selfpublisherin, weil nur wenige Verlage überhaupt dieses Genre veröffentlichen. Natürlich fand ich die Idee schön, dass auch andere Leser mein Buch kaufen konnten, aber es war doch eher etwas für Freunde und Verwandte. Daher ersparte ich mir die mühselige und bestimmt auch frustrierende Suche nach einem Verlag. Kurz nach der Veröffentlichung entdeckte ich den Selfpublisher Verband und lernte andere Selfpublisher kennen und ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich lernte, die Freiheiten zu schätzen und stellte meine Romane „221 Tage“ und „Meerestiere“ dementsprechend nie einem Verlag vor. Ein Leser schrieb mir einmal, wäre die Welt gerecht, hätte mich ein großer, bekannter Verlag veröffentlicht. Ich musste ihn darüber aufklären, dass ich den Verlagen nie die Chance dazu gegeben habe.
Für den Roman, den ich nun schreibe, möchte ich mir einen Verlag suchen. Meine Bücher werden fast ausschließlich in Buchhandlungen gekauft und Selfpublishing scheint mir sehr Genreabhängig zu sein. Auch viele Blogger bevorzugen bestimmte Genres, so dass ich oft nicht in das Leseprofil passe.
Hast Du Tipps für junge Autorinnen und Autoren, die gern ein Buch veröffentlichen würden?
Schreiben, schreiben, schreiben. Und wenn man gerade nicht schreibt: Lesen, lesen, lesen.
Autoren fallen selten vom Himmel. Es ist Arbeit, es braucht Übung. Ich würde mal behaupten, viele gute Autoren haben schon große Altpapiercontainer mit Manuskripten gefüllt, die sie für nicht veröffentlichungswürdig empfanden.
Jetzt habe ich noch ein paar persönlichere Fragen, damit die Leser Dich als Person noch ein bisschen näher kennenlernen können:
Wie, wo und wann schreibst Du am liebsten?
Sitzend am Schreibtisch Montags ganztägig, Dienstags bis Freitags ab 14.00 Uhr. Seit ein paar Wochen versuche ich um 18.00 Uhr den Computer auszumachen. Dazu trinke ich Wasser, im Winter Tee. Und hin- und wieder eine Tasse Brühe. Niemals im Pyjama oder Trainingshose. Das habe ich mir von Marguerite Duras entlehnt. Ich bewundere ihren sprachlichen Ausdruck! Sie erzählte einmal, dass sie sich nie ungewaschen oder nachlässig gekleidet an den Schreibtisch setzt.
Was ist Dir beim Schreiben als Arbeitsumgebung wichtig?
Jemand erzählte mir vor vielen Jahren, ein guter Autor muss überall schreiben können. Nun, ich kann zwar unterwegs Ideen skizzieren, aber für das eigentliche Schreiben brauche ich Ruhe. Die habe ich an meinem Schreibtisch, weil dort Routine herrscht. Ich habe eine große Terrasse, bin aber noch nie auf die Idee gekommen, dort zu schreiben. Dort würde mich zu viel ablenken. Im Zug schreibe ich immer seitenweise Tagebuch. Ich liebe zugfahren, da kann ich meine Gedanken einfach schweifen lassen. Manchmal träume ich davon, eine Zugreise mit dem Orient Express, dem Royal Scotsman oder etwas ähnlichem zu machen. Ich stelle mir das sehr inspirierend vor und ich glaube, in so einem Zug könnte ich auch auf meinen Schreibtisch verzichten. Nur leider fehlt mir noch der Bestseller, um mir diese Form des Reisens leisten zu können.
Welches Genre liest Du selber am liebsten? Hast Du Autorenvorbilder oder Autoren, die Du besonders gern liest?
Hin- und wieder lese ich Krimis, Thriller oder Horror, ganz selten mal Fantasy. Im Großen und Ganzen lese ich Gegenwartsliteratur. Wenn ich Unterhaltung will, lese ich gerne King. Mein großes Vorbild ist Marguerite Duras. Auch Aglaja Veteranyi hat es mir mit ihrem Sprachstil sehr angetan. Letztendlich schreibe ich aber doch mehr in Richtung Unterhaltungsliteratur als diese beiden Sprachkünstlerinnen.
Und: Was sind Deine Freizeitaktivitäten, wenn Du nicht schreibst?
Ich fahre viel mit dem Rad, und ein Spaziergang kann bei mir auch an die 25 Kilometer lang sein. Ich bin ein Bewegungsmensch. Aber was ich wirklich gut kann ist, auf der Couch zu sitzen, Chips zu futtern und einen Film oder eine Serie anschauen. Ich liebe Filme! Ich koche sehr gern, allerdings muss ich mich manchmal mit meinem Mitbewohner deshalb streiten. Ich lebe in einer Business-WG und er kocht auch sehr gern. Das gibt manchmal Gerangel, wer am Abend an den Herd darf. Manchmal falte ich Bücher. Das nennt sich Orimoto. Aber ansonsten bin ich ein relativ langweiliger Mensch, ich kann auch nicht gut unterhalten. Auf Partys höre ich zu, sage aber wenig. Meine Bücher sprechen viel mehr zu den Menschen. Einmal bekam ich die Rückmeldung, dass ein Leser zwei Stunden brauchte, um wieder „auf ein normales emotionales Level zu kommen“. Das höre ich öfter mal. Gut, dass ich nicht so eine Wirkung auf Menschen habe!
Das waren jetzt eine Menge Fragen. Aber vielleicht habe ich ja eine oder mehrere für Dich wichtige Fragen gar nicht gestellt? Gibt es etwas, das Du den Lesern gern noch mitgeben oder erzählen möchtest?
An dieser Stelle möchte ich gern auf einen Gastbeitrag verweisen, den ich auf einem Blog schrieb. Dort ist mein Weg aus dem Theater heraus zu meinem heutigen Dasein als Autorin sehr gut beschrieben.
https://www.manafonistas.de/2018/05/08/post-its-ein-gastbeitrag-von-iris-antonia-kogler/
Ich bedanke mich herzlich für dieses Interview und wünsche Dir alles Gute. Und in dieser sehr seltsamen Zeit vor allem auch: Bleib gesund!
Lieben Dank dir, ich habe mich sehr über dieses Interview gefreut!
Hier geht’s zu meiner Rezension von „Sandkörnchens spannender Tag auf Norderney“
Hier geht’s zu meiner Rezension von „Meerestiere“
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